Prof. Frass: Nicht die Methodik, das Ziel ist entscheidend
Interview mit Prof. Dr. Michael Frass aus Wien, Vorsitzender von WissHom, der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie. Er ist Referent des Deutschen Ärztekongresses für Homöopathie 2021 und Mitherausgeber eines aktuellen Standardwerks zur integrativen Medizin aus dem Springer Verlag.
Was ist überhaupt integrative Medizin?
Integrative Medizin bedeutet die gezielte Anwendung der fundierten medizinische/n Methode/n, die in der jeweiligen Situation für die Gesundung respektive Gesunderhaltung von PatientInnen am besten geeignet ist/sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Methode zum Kanon der konventionellen Medizin oder zu den Methoden gehört, die derzeit noch als komplementär bezeichnet werden. Nicht die Methodik, sondern das Ziel ist entscheidend: wie kann ich den Erkrankten am besten aus der jeweiligen Situation heraus zur Gesundwerdung oder zumindest zur Befindlichkeitsbesserung unterstützen? Selbstredend darf in keiner Situation ein Risiko für die Erkrankten eingegangen werden. Dementsprechend ist die Kenntnis der State-of the-Art Medizin eine unabdingbare Voraussetzung, was durch die kontinuierliche Ausbildung sowie durch Weiterbildung gewährleistet ist.
Lässt sich dieses Modell immer einsetzen?
Grundsätzlich lässt sich die allumfassende integrative Medizin immer einsetzen. Es gibt keine alleinseligmachende medizinische Methodik, deshalb ist es wichtig, sich hier umfassendes Wissen anzueignen. Eine Möglichkeit dazu bietet das 2019 erschienene Buch „Integrative Medizin. Evidenzbasierte komplementärmedizinische Methoden. Umfangreiches Handbuch zu Grundlagen und Methoden der Integrativen Medizin.“ Hier lässt sich fundiert über verschiedene integrative Methoden nachlesen.
Wie ist die Integrative Medizin über Studien abgesichert?
Wie in dem oben genannten Buch aus dem Springer Verlag dargestellt, sind viele Methoden durch Studien abgesichert. Nachzulesen ist dies beispielsweise auch in dem gerade erschienenen narrativen Review: „Evidenzbasierte Veterinär-/Homöopathie und ihre mögliche Bedeutung für die Bekämpfung der Antibiotikaresistenzproblematik – ein Überblick“. Auch eine jüngst erschienene Studie zum Thema additive Homöopathie bei LungenkrebspatientInnen gibt einen wertvollen Einblick in klinische Studien. Man sollte aber immer, wie von Sackett gefordert, die Wünsche der PatientInnen sowie die Erfahrung von ÄrztInnen im Auge behalten – erst so wird Medizin zur Evidenz basierten Medizin (EbM).
Wie ist das Verhältnis zur konventionellen Medizin?
Das Verhältnis zur konventionellen Medizin ist in hohem Maße von der Kenntnis und der Einstellung zur integrativen Medizin gekennzeichnet: Es ist unsere Aufgabe den Wissensstand rein konventionell orientierter ÄrztInnen zu erweitern und die Angst zu nehmen, dass integrative Medizin eine Gefahr darstellen könnte.
Wie sehen die Verfechter der reinen ´Schulmedizin`diese Ergänzung?
Das Wort ´Schulmedizin` ist veraltet und sollte nicht mehr verwendet werden, denn Medizin wird ja nicht an der Schule gelehrt. Da integrative Medizin bisher nur an wenigen Universitäten gelehrt wird, besteht ein sehr heterogenes Muster bezüglich Einstellung zur integrativen Medizin. Mit zunehmender Verbreitung und Akzeptanz in der Bevölkerung bessert sich auch die Situation in der Ärzteschaft.
…oder ist integrative Medizin auch mal Alternative?
Alternative bedeutet „anstatt“: das ist in vielen Situationen zwar möglich, aber vom Können und der Erfahrung des/r Behandelnden abhängig. Es ist wichtig klar zu machen, dass es nicht eine Konkurrenz, sondern ein Miteinander ist, was uns antreibt.